1700:
Barocker Glanz und Schatten
Im
Jahr 1700 ließen der Schneider Jacob Krupber und seine Frau Eva am
Ortsausgang von Oberbrunn eine Marter aufrichten.
[105]
.
Mit der Herstellung hatten sie einen bewährten Meister beauftragt, den
in Prächting lebenden Steinmetzen Johann Absolon Burckhart. Dieser, in
Sachsen geboren, war als Kind mit seinem Vater, dem Bergmann Georg
Burckhart, nach Uetzing gekommen, wo das Kloster Langheim ein
Eisenerz-Bergwerk betrieb. Nachdem die Abtei 1684/85 die Grube und den
zugehörigen Eisenhammer in Stublang stillgelegt hatte
[106]
,
war Georg Burckhart vornehmlich als Steinmetz tätig geworden; sein
wichtigstes Werk dürften die ihm zugeschriebenen Sieben Fälle am Weg
von Kloster Langheim nach Vierzehnheiligen sein
[107]
.
Sein ältester Sohn Johann Absalon trat in die
Fußstapfen des Vaters. 1696 heiratete er Bauerntochter Margaretha
Pfalzgraf († 1738), in deren Heimatdorf Prächting er bis zu seinem
Tod im Jahr 1726 lebte. Hier schuf er, wie schon sein Vater und wie sein
wohl in Roßdach wohnender Bruder Johann Georg Burckhart (1672–1734),
eine Reihe von Martern, die im Raum Staffelstein-Zapfendorf-Scheßlitz
aufgestellt wurden. Daneben betrieb er eine Ziegelei, die 1713/14 für
den Neubau des Langhauses der Hankirche bei Prächting Kalk, Backsteine
und eine große Menge Dachziegel lieferte.
Die Motive für die Aufrichtung einer Marter kennen wir
in der Regel allenfalls aus der Inschrift
[108],
und diese ist oft knapp gehalten. Stets dürfen wir aber hinter der
Stiftung religiöse Motive sehen: Das schlichte „GOTT ZU EREN“, das
1686 Andreas Langhojer († 1691) zu Horsdorf in eine Marter einmeißeln
ließ, war gewiß mehr als eine Floskel. Dass sein Sohn, der Müller
Nikolaus Langhojer (1645–1724), 1713 eine Marter – ein Werk des
Unterleiterbacher Steinmetzen Johann Schwartzmann (1678–1740)
[109]
– mit dem eigenen Namenspatron und dem des Vaters sowie mit einer
Darstellung der hl. Adelgundis schmücken ließ, bedeutete wohl eine
Unterstellung unter den Schutz der Namenspatrone und der
Staffelberg-Heiligen. Durch die Stifterinschrift und das Bild seines
Namenspatrons sollte auch das Gedenken an den Auftraggeber auf Erden
gesichert werden. Dass, wie in den erwähnten Fällen, Martern zu
Lebzeiten des Stifters aufgestellt wurden, war die Regel; es gibt jedoch
auch Belege für testamentarische Stiftungen.
Die Martern sind sichtbare Spuren der katholischen
Frömmigkeit, wie sie im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert
ausgeformt worden war. Die kirchlichen Bräuche, von der geistlichen wie
weltlichen Obrigkeit propagiert oder eingeführt, erreichten um 1700
ihre Blüte und wurden darüber hinaus so lange praktiziert, bis sie zur
Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend mit Argwohn betrachtet und am Ende
des Säkulums schließlich, als originär volkstümlich missverstanden,
verboten oder verdrängt wurden.
Wallfahrten sind das Paradebeispiel für diese
Entwicklung. Als ,demonstratio fidei‘, die Andersgläubige durchaus
provozieren sollte, entstand die Praxis, dass eine Pfarrgemeinde
regelmäßig, auf einem festgelegten Weg, prozessionsweise zu einem
Wallfahrtsort zog. So wallte im späten 17. Jahrhundert die Pfarrei
Scheßlitz auf den Staffelberg, sogleich nach ihrer Gründung im Jahr
1686 auch die Pfarrei Zapfendorf
[110]
.
Ebenso zog der Uetzinger Pfarrer mit seiner Gemeinde ab 1694/95 „etlich
mahl uffn Staffelberg“
[111]
.
Daneben gab es, wie seit dem Mittelalter, die Frommen, die einzeln oder
in kleinen Gruppen, manchmal anlassgebunden, zu einer Gnadenstätte
pilgerten. Der Staffelsteiner Pfarrer Johann Georg Schnetzer († 1726)
berichtete im 1716 erschienen Adelgundis-Büchlein vom großen ,confluxus’
der benachbarten Pfarreien am Patronats- und am Kirchweihfest. Ferner
kämen „das Jahr hindurch“ Wallfahrer aus Fulda, Geldersheim,
Burkardroth, Hammelburg „und anderen weitentlegenen Orthen“ auf den
Staffelberg
[112]
.
Der stark wachsende Zulauf ließ vermutlich eine dauerhafte Betreuung
der Kirche angezeigt erscheinen. Nachdem 1663 und 1686 Antragsteller,
die in Einsamkeit auf dem Berg hatten leben wollen, abgewiesen worden
waren, zog 1696 mit dem „Einsiedl“ Daniel Schmidt der erste Eremit
auf den Staffelberg
[113]
.
Ob um 1700 schon am Karfreitag Gläubige, Kreuze tragend,
auf den Staffelberg strömten, ist unklar; sicher zu belegen ist dies
erst seit dem zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts
[114]
.
Am Karfreitag zogen auch Prozessionen durch Staffelstein und durch
Weismain, bei der Zünfte und andere Gruppen der Bürgerschaft den
Betrachtern das Leiden Christi bildhaft vor Augen führte
[115]
.
Im frühen 19. Jahrhundert untersagt, haben sich diese
Karfreitagsprozessionen in Neunkirchen am Brand und Lohr am Main
[116]
bis heute erhalten.
Wie seit dem Spätmittelalter hatte unter den
katholischen Kultzentren am Obermain Vierzehnheiligen die größte,
über die Region hinausweisende Bedeutung. Zwischen 1655 und 1683
empfingen hier rund 264000 Wallfahrer die Kommunion
[117]
.
Es spricht für den Rang dieses Wallfahrtsortes, dass der Langheimer Abt
sich 1701, als er ein neues Vierzehnheiligenbuch herausbrachte, um ein
kaiserliches Privileg bemühte, das den Nachdruck verbot; er fürchtete,
es könnten in Nürnberg und Schweinfurt Raubdrucke angefertigt werden
[118]
.
Neben Vierzehnheiligen erlebten die
Dreifaltigkeitswallfahrt zu Gößweinstein, zu der im späten 17.
Jahrhundert die Staffelsteiner regelmäßig kamen, und die marianische
Gnadenstätte zu Marienweiher einen Aufschwung. Bald regte sich der
Wunsch nach modernen, größeren Neubauten der so stark besuchten
Kirchen. Als die Gößweinsteiner 1683 einen neuen Hochaltar für ihre
gotische Kirche anschaffen wollten, untersagte dies der Fürstbischof;
man solle statt dessen das zur Verfügung stehende Geld für eine
Erweiterung der spätgotischen Pfarrkirche aufzusparen. Allerdings ließ
der Baubeginn bis 1730 auf sich warten
[119]
.
In Vierzehnheiligen zogen sich die Bemühungen um einen
Neubau
[120]
ähnlich lange hin, wobei sich hier der seit langem schwelende und
gerade im späten 17. Jahrhundert immer wieder aufflammende Streit um
die rechtliche Stellung des Klosters Langheim als hinderlich erwies.
Denn das Kloster forderte, gestützt auf kaiserliche wie päpstliche
Privilegien, die Reichsunmittelbarkeit, konnte freilich die
weitreichenden Befugnisse, die der Zisterze zugestanden waren, gegen
Bamberg nie durchsetzen
[121]
.
Da der Bischof seit 1450 am Opfer der Vierzehnheiligen-Wallfahrer
partizipierte, sollte er nach dem Willen des Klosters auch die Baulast
mittragen
[122]
.
Doch weil hierüber keine Einigung zustande kam, war der geplante Bau
blockiert. Erst als Langheim 1741 endgültig den Bamberger Bischof als
Landesherrn anerkannte, machte dieser den Weg für einen Neubau frei.
So steht, wenn man bloße Umgestaltungen bestehender
Substanz außer Acht lässt, ein eher unscheinbares Kirchengebäude am
Beginn des barocken Bauens in der Obermainregion: die Kreuzkapelle
Weismain. Bereits 1695 sammelte man in der Stadt Geld für ihren Bau,
und 1698 und 1701 wurden Übeltäter verurteilt, Fronen beim Kapellenbau
zu leisten. Die Steine brach man 1702, und vier Jahre später
konsekrierte der Bamberger Weihbischof Johann Werner Schatz das
Gotteshaus
[123]
.
Das Bauen im barocken Stil hatte im Hochstift, sieht man
von der Erweiterung der Stiftskirche St. Stephan zu Bamberg nach 1677
ab, erst mit der Errichtung der Jesuitenkirche in Bamberg (1686–1690)
und des Schlosses Marquardsburg auf dem Seehof (1687–1696) Einzug
gehalten
[124]
.
Die Pläne für Schloss Seehof stammten im wesentlichen von dem
Würzburger Architekten Antonio Petrini († 1701), während die
Jesuitenkirche (heute St. Martin) ein Werk des Baumeisters Georg
Dientzenhofer (1643–1689) ist. Erstmals war mit ihm ein Mitglied
dieser bedeutenden Familie
[125]
in Franken tätig. Hatte Bischof Marquard Sebastian Schenk von
Stauffenberg (reg. 1683–1693) mit Seehof einen Sommersitz und ein
Jagdschloss errichtet, so ließ sein Nachfolger, Lothar Franz von
Schönborn (reg. 1693–1729), der seit 1695 auch Erzbischof von Mainz
und damit Kurfürst war, zwischen 1698 und 1703 eine mächtige Residenz
in der Stadt bauen
[126]
.
Geplant hatte sie Leonhard Dientzenhofer (1660–1707), der seit April
1690 als Hofbaumeister in bambergischen Diensten stand.
Da es Fürstbischof Marquard Sebastian gelungen war, die
Schuldenlast des Hochstifts Bamberg stark zu mindern
[127]
,
verfügte Lothar Franz über die nötigen Mittel, um auch Amtshäuser in
Landstädten umzubauen oder durch Neubauten zu ersetzen. So entstand von
1701 bis 1703 in Weismain ein repräsentatives Amtsgebäude nach Plänen
des Hofbaumeisters Dientzenhofer: der Kastenhof mit seinem zeittypischen
hakenförmigen Grundriss
[128]
.
Die selbstbewusste und wohlhabende Zisterze Langheim,
genauer: Abt Thomas Wagner (reg. 1677–1689) begann 1681 mit dem
barocken Neubau der Klosteranlage
[129]
,
zunächst wohl nach den Plänen des Baumeisters Jakob Blös († 1685),
von dem nur ein weiteres Werk bekannt ist: Nach dem verheerenden
Stadtbrand von Staffelstein am 5. Juli 1684 lieferte er Pläne für den
Wiederaufbau des dortigen Rathauses
[130]
.
Der größte Teil der Neubauten in Langheim fiel freilich in das
Abbatiat von Gallus Knauer (reg. 1690–1728), dem letzten in einer 1572
beginnenden Reihe von gebürtigen Weismainern, die in Langheim die
Abtswürde bekleideten
[131]
.
Schon wenige Monate nach seiner Wahl beauftragte Knauer den
Hofbaumeister Leonhard Dientzenhofer, der seit 1688 für das
Mutterkloster Langheims, Ebrach, arbeitete
[132]
,
mit den Planungen für den Abteiflügel, der – einer erhaltenen
Bauinschrift nach – 1700 aufgeführt wurde. Allerdings kamen 1703 die
Baumaßnahmen ins Stocken, wofür nicht die Kritik des sonst so
baufreudigen Fürstbischofs verantwortlich war, der angesichts der
Auseinandersetzungen mit dem selbstbewussten Prälaten 1701 den Neubau
der Klosteranlage als „unnötig“ bezeichnet hatte, sondern vielmehr
die politische Unruhe am Vorabend des Spanischen Erbfolgekrieges
[133]
.
Eindrucksvoll belegen bis heute die Außenhöfe des
Klosters Langheim dessen Repräsentationswillen. Von 1691 bis 1693 wurde
der Kulmbacher Hof errichtet – Verwaltungssitz für die langheimischen
Güter im Markgraftum Brandenburg-Bayreuth –, ein hakenförmiger Bau
mit markantem Giebel, der die Silhouette der Kulmbacher Altstadt
mitbestimmt
[134]
.
Mit dem Hof Nassanger bei Trieb
[135]
entwarf Leonhard Dientzenhofer 1692/93 einen höchst originellen Bau,
der wohl einerseits als Architekturexperiment zu gelten hat – ein
runder Gutshof mit dem Misthaufen als Mittelpunkt –, andererseits als
Fluchtpunkt für Abt und Mönche von Langheim dienen sollte, erreichte
doch der Streit um das Verhältnis des Klosters zum Hochstift unter
Gallus Knauer einen Höhepunkt. Offenbar sollte die trutzig wirkende
Fassade, deren Eindruck durch einen breiten Wassergraben rings um den
Bau noch unterstützt wurde, zumindest die für Exekutionen gegen das
Kloster aufgebotenen bambergischen Untertanen abschrecken. Die schon in
Kulmbach gewählte Hakenform griff Dientzenhofer beim Neubau des
langheimischen Amtshofes Tambach
[136]
wieder auf, der um 1695 begann und seinen vorläufigen Abschluss
frühestens 1702 fand.
Am Beispiel dieses schlossartigen Baus wird deutlich,
dass Leonhard Dientzenhofer nicht nur Architekt, sondern zugleich
Bauunternehmer war, der die eigenen Planungen zügig auszuführen
vermochte. 1697 arbeiteten zehn Maurergesellen in Tambach, von denen die
meisten zuvor an der Umgestaltung des Alten Schlosses zu Bayreuth
mitgewirkt hatten. 1699 beschäftigte Dientzenhofer in Tambach gar 21
Männer, die aber größtenteils nicht zu den Stamm-Mitarbeitern seines
Unternehmens zählten; offenbar hatte er sie für diese Baustelle von
einem anderen Maurermeister ,ausgeliehen’
[137]
.
Die später für die Obermainregion tätigen Architekten wie Balthasar
Neumann (1687–1753), Johann Jakob Michael Küchel (1703–1769) oder
Justus Heinrich Dientzenhofer (1702–1744) verfügten dagegen nicht
über eigene Bautrupps; daher schlug vom dritten Jahrzehnt des 18.
Jahrhunderts an die Stunde der Staffelsteiner Maurerdynastie
König-Weber-Nißler
[138]
als eines leistungsfähigen Bauunternehmens.
Schwerer als Langheim tat sich das Benediktinerkloster
Banz mit der barocken Erneuerung seines Baubestandes, war die
wirtschaftliche Basis doch wesentlich schmaler als bei der benachbarten
Zisterzienserabtei. Doch hatte ein Abt des Klosters, Otto de la Bourde (†
1708)
[139]
,
ab 1672 als kaiserlicher Diplomat Karriere gemacht; 1697 war ihm vom
Kaiser das Bistum Gurk verliehen worden. Wenn er auch 1677 seine
Abtwürde niederlegte, so hielt er doch zeitlebens Kontakt mit seinem
Professkloster. Zu Vermögen gelangt, bedachte er bei Lebzeiten und
erneut durch sein Testament Banz mit erheblichen Geldbeträgen. Diese
erst machten es möglich, dass Abt Eucharius Weiner (reg. 1677–1701)
seit Ende der 1690er Jahre die ersten Bauten aufführen ließ: zunächst
das Krankenhaus an der Südwestecke des Klosterareals, dann den
langgestreckten Abteibau, begonnen 1701
[140]
.
Die Planung und Ausführung war, wie in Langheim, dem Bamberger
Hofbaumeister Leonhard Dientzenhofer übertragen. Nach seinem Tod im
Jahr 1707 entwarf sein Bruder Johann Dientzenhofer (1663–1726) – ab
1700 Stiftsbaumeister in Fulda, wo er Dom und Schloss schuf, ab 1711
Hofbaumeister zu Bamberg – die weiteren Bauten, unter denen die 1710–1719
errichtete Klosterkirche das bedeutendste Werk ist. Doch mit ihrer Weihe
war der barocke Neubau von Banz längst nicht abgeschlossen; dieses Ziel
wurde 1773 erreicht.
Hinter den Klöstern und dem Fürstbischof mochte
offenbar, soweit es die finanziellen Verhältnisse zuließen, der
Niederadel nicht zurückstehen. Ludwig Ernst von Schaumberg (1647–1694)
ließ wohl um 1680/90 sein altes Schloss in Schney durch einen
schlichten, dreigeschossigen Neubau ersetzen
[141]
.
Als Georg Christoph von Redwitz († 1715), kaiserlicher und
bischöflich-bambergischer Rat, Obrist und Kommandant der Festung
Rosenberg, 1697 nach dem Aussterben der Wildenrother Linie seines
Geschlechts das Rittergut Redwitz erhielt, sah er sich zu Baumaßnahmen
geradezu gezwungen; die Vorbesitzer hatten auf der Burg Wildenroth
gelebt und das Schloss Redwitz vernachlässigt. Georg Christoph von
Redwitz wandte, nicht zuletzt mit Hilfe seiner Frau, erhebliche Summen
für das Schloss zu auf; insbesondere baute er einen neuen Trakt, den
Ostflügel der Anlage, und ließ den nördlichen Flügel erneuern
[142]
.
Auch
die Untertanen wurden bald von der Bauleidenschaft angesteckt, was
Lothar Franz von Schönborn durch gesetzgeberische Maßnahmen
[143]
zusätzlich förderte. Dabei widmete er sich zunächst dem Problem, dass
immer noch Spuren der Zerstörung aus dem ein halbes Jahrhundert
zurückliegenden Dreißigjährigen Krieg zu finden waren; es gab
zahlreiche Stellen, an denen einst Häuser gestanden hatten, die nach
Brand oder Verfall nicht mehr aufgebaut worden waren. Im Januar 1700
verfügte der Fürstbischof, „daß dergleichen öede Hofstätte inner
Jahr und Tag angebauet / oder in unterbleibendem fall / von hoher
Obrigkeits wegen eingezogen und käufflich begeben werden sollen“
[144]
.
Doch wurde die Drohung wohl kaum in die Tat umgesetzt. Sonst hätte der
Bischof nicht 16 Jahre später ein ähnliches Mandat erlassen.
Lothar
Franz ging es allerdings nicht nur um einen raschen, sondern auch um
einen qualitätvollen Wiederaufbau: Er wünschte eine repräsentative
Umgestaltung der Hochstiftsstädte, allen voran seiner Residenz Bamberg,
die er zur barocken Stadt umformen wollte
[145]
.
Durch ein Mandat vom 13. März 1700
[146]
regelte Lothar Franz die Steuerbefreiung für Neubauten. Nach dem
Buchstaben des Mandats war es zwar auf die Städte beschränkt, doch in
der Praxis wurde es auch auf Dörfer angewandt. Die Dauer der Befreiung
war nach der Zahl der Stockwerke und der Bauweise gestaffelt: Ein
dreistöckiges Haus brachte dem Eigentümer 20 Jahre Steuerfreiheit ein,
wenn es ganz aus Stein errichtet war; für einen ebenso hohen
Fachwerkbau waren hingegen neun Jahre vorgesehen. Bei zweistöckigen
Häusern waren es zehn Jahre für Steinbauten, acht Jahre, wenn das
Erdgeschoss aus Stein, der Obergeschoss aber aus Fachwerk war, und sechs
Jahre für reine Fachwerkkonstruktionen. Einstöckige Neubauten, deren
Errichtung in Städten rundweg verboten war, blieben für drei Jahre
unbesteuert.
Offensichtlich sollte der Bau hoher, stattlicher
Steinhäuser gefördert werden. Dahinter stand der Wunsch, Holz
einzusparen, denn schon um 1700 war die Sorge um das Bau-, Werk- und
Heizmaterial Holz virulent – die Schließung des langheimischen
Eisenhammers in Stublang war durch dessen hohen Holzverbrauch begründet
[147]
.
Die Sorge steigerte sich im 18. Jahrhundert zur Hysterie
[148]
.
Vorherrschend dürfte allerdings die Absicht des
Fürstbischofs gewesen sein, die Baulust bei seinen Untertanen zu
fördern und dadurch die Städte des Hochstifts zu barockisieren. Die
Bürgerhäuser freilich, die in den ersten Jahres des 18. Jahrhunderts
in Lichtenfels (Laurenzigasse 3, Innere Bamberger Straße 20) oder
Weismain (Am Markt 18 und 27, Von-Rudhardt-Straße 15/17) entstanden,
waren einfache Bauten mit steinernem Erdgeschoss und traditionellem
Sichtfachwerk im Obergeschoss, ohne nennenswerten barocken Zierat im
Äußeren. Immerhin aber sind diese Häuser Belege für eine rege, durch
das Schönbornsche Mandat belebte Bautätigkeit. So maß auch Lothar
Franz von Schönborn seinem Steuerbefreiungs-Mandat offenbar große
Bedeutung zu. Die Steuerbeamten wurden ausdrücklich angewiesen, es „zu
jedermanns Nachricht“ von den Kanzeln verkünden zu lassen und
zusätzlich an öffentlichen Plätzen auszuhängen
[149]
.
Nicht nur äußerlich gestaltete Lothar Franz von
Schönborn das Hochstift Bamberg um. Seine Regierungszeit war auch
geprägt von einer Stärkung seiner fürstlichen Gewalt. Zum einen
drängte er die Mitherrschaft des Domkapitels zurück; er war nach
wenigen Jahren von seinen Zusagen in der Wahlkapitulation
[150]
befreit, weil Papst und Kaiser 1695 bzw. 1698 diese Zusicherungen
gegenüber den Wählern grundsätzlich untersagten.
Zum anderen bedurften Steuern – jedenfalls in der
politischen Praxis – um 1700 nicht mehr der Genehmigung durch die
Landstände, die Vertretung der Klöster und der „Landschaft“, d. h.
der Städte und Märkte. Letztmals war der Landtag 1654
zusammengetreten. Zwar hatten ab 1672 die Äbte von Michelsberg, Banz
und Langheim auf die Wiederherstellung der landständischen Verfassung
gedrungen, doch waren ihre Bemühungen letztlich gescheitert, da das
bischöfliche Versprechen, zu passender Zeit („congruo tempore“)
einen Landtag einzuberufen, nie eingehalten wurde
[151]
.
Schon längst war die Verwaltung des Hochstifts ganz auf
die Person des Fürsten ausgerichtet, doch um 1700 griff der
Zentralismus auf mehr und mehr Gebiete über. Zentralbehörden
[152]
zogen Kompetenzen an sich. Einige Beispiele mögen genügen: Das
Malefizamt, eine im 17. Jahrhundert geschaffene Einrichtung, erlangte am
Anfang des 18. Jahrhunderts die alleinige Zuständigkeit für die
Blutgerichtsbarkeit im Hochstift Bamberg, die bis dahin bei den
Zentgerichten – etwa in Lichtenfels oder Marktgraitz – gelegen
hatte. Die Amtsvögte sanken in ihrer Eigenschaft als Zentrichter „zu
reinen Berichterstattern“ herab, „die dem Malefizamt über jeden
ihrer Schritte Rechenschaft ablegen mußten“
[153]
.
Um die Verwaltung der ,milden’ Stifungen, die der
Generalvikar im beginnenden 18. Jahrhundert mit großen Mängeln
behaftet sah
[154]
,
in geordnete Bahnen zu leiten, ordnete die Geistliche Regierung 1703 an,
die Hofkammer – die oberste Finanzbehörde – müsse, wenn Geld aus
dem Stiftungsfond als Darlehen vergeben werde, das „Unterpfandt“
(die Sicherheiten) prüfen und dem Kredit ausdrücklich zustimmen
[155]
.
Hatten in Weismain noch 1694 Bürgermeister und Rat in Gemeinschaft mit
dem Pfarrer darüber befunden, wer als Lehrer angestellt wurde, so zog
1702 die Geistliche Regierung die Entscheidungsgewalt an sich
[156]
.
Unangetastet blieben die Herrschaften der Ritter, hatten
diese sich doch im 16. Jahrhundert erfolgreich gegen die Bestrebungen
der Landesherren gewehrt, sie als – wenn auch privilegierte –
Untertanen in ihre Territorien einzubinden. Statt dessen hatten sie
einen reichsunmittelbaren Status errungen; sie – und damit ihre
Herrschaften – waren nur dem Kaiser untertan.
Ein Recht, das die Adligen, die nicht selbst über
hochgerichtliche Befugnisse verfügten, vehement behaupteten, war die
,limitierte Zent‘. Im Jahr 1700 wurde die seit langem übliche
Verfahrensweise durch einen Vertrag zwischen Fürstbischof Lothar Franz
von Schönborn und dem Ritterkanton Gebürg allgemein festgeschrieben:
Der Bischof räumte den Reichsrittern die Zenteinfallsfreiheit für ihre
Dörfer ein. Das bedeutete: Die bambergischen Zentbeamten durften nicht
selbst eingreifen, sondern mussten sich das Leibzeichen – bei Mord,
Todschlag oder Selbstmord wurde dem Verstorbenen ein Körperteil, meist
ein Finger, später auch nur ein Fetzen der Kleidung abgeschnitten –
und den Täter von den adligen Vertretern außerhalb der Siedlung
ausliefern lassen. Bamberg verblieb „allein noch die kostspielige
Aburteilung und Justifikation des überstellten Täters“
[157]
.
Doch löste die Vereinbarung nicht die Probleme, die aus
den verzwickten Gerichtsverhältnissen resultierten. Der Teufel steckte
im Detail. So kam es denn im gesamten 18. Jahrhundert zu Streitigkeiten
über Einzelfälle.
Die Kleinräumigkeit der Gerichtszuständigkeiten, die
Rivalität der Herren erleichterten es der großen und stetig wachsenden
Zahl von Kleinkriminellen und von Räubern, sich der obrigkeitlichen
Verfolgung zu entziehen. Die Fürstentümer und Herrschaften, auch der
die fränkischen Territorien einende Reichskreis vermochten es nicht,
diesem Problem Herr zu werden
[158]
.
Es gelang ihnen um so weniger, als die Banden aus einem
Heer von Armen gespeist wurden, war doch Armut im 18. Jahrhundert
allgegenwärtig. Kleinhandwerker und Taglöhner waren ständig in ihrer
Existenz gefährdet, und ortsansässige Almosenempfänger lebten mehr
schlecht als recht von Spenden aus dem Fond karitativer Stiftungen und
von milden Gaben ihrer Nachbarn. Hinzu kamen vagierende Bettlern, die
– in den Augen der Obrigkeit wie der begüterten Bauern und Bürger
– mehr und mehr zu einer Plage wurden.
Gerade in der aufgeheizten politischen Atmosphäre der
Zeit um 1700 belasteten Kriege und Kriegsvorbereitungen die Staaten,
sprich: die Untertanen; Versorgungsengpässe traten auf, zumal Lothar
Franz unter spekulativen Gesichtspunkten Getreide an niederländische
Heereslieferanten verkaufte. In dieser Stimmung kam es 1699 zu einem
Aufruhr im Hochstift Bamberg, der sich freilich nicht gegen die
Obrigkeit, sondern gegen die Juden richtete
[159]
.
Als im April 1699 für Holland bestimmtes Getreide, das aus
verschiedenen Hochstiftsämtern stammte, am Bamberger Hafen verladen
wurde, fielen Einwohner der Stadt und zufällig anwesendes Landvolk
über die Schiffe her. Bald schon wandte sich der Aufstand gegen die
Juden, da zwei Bamberger Händler jüdischen Glaubens die Geschäfte als
Mittelsmänner abgewickelt hatten. Zentren der antijüdischen
Ausschreitungen waren der Aischgrund, die von Juden bewohnten Dörfer um
Scheßlitz sowie Altenkunstadt. Während hier Gewalttaten verübt
wurden, konnten Plünderungen in Burgkunstadt eingedämmt und in Redwitz
durch Georg Christoph von Redwitz ganz unterbunden werden. Eine Frau in
Mistelfeld wurde auf offener Straße misshandelt und ausgeraubt.
Soldaten – nicht nur bambergische, sondern auch zu
Hilfe gerufene bayreuthische, nürnbergische und würzburgische Truppen
– schlugen den Aufstand nach einigen Wochen nieder. 99 Männer und
vier Frauen wurden festgenommen, darunter auch einige junge Handwerker
aus Tirol, die in Langheim arbeiteten, wohl beim Klosterbau. De
Fürstbischof kündigte harte Strafen an, war doch sein „landesfürstlicher
resprect und credit“
[160]
durch den Aufruhr verletzt. Mehrere Täter wurden aus dem Hochstift
Bamberg ausgewiesen, einzelne hingerichtet.
Am Ende des Aufstands stand ein Wandel in der
Wirtschaftspolitik: Getreideverkäufe außer Landes waren fortan nur
dann zulässig, wenn die Vorräte in den Ämtern, Klöstern und adligen
Herrshaften die Versorgung der Untertanen sicher stellte; dadurch wurde
„der verantwortungsbewußten Volkswirtschaft der Vorrang vor dem
Fiskalismus eingeräumt“
[161]
.
Allerdings ist auch eine Verschärfung der fürstbischöflichen
Judenpolitik zu beobachten, ausgelöst wohl nicht zuletzt durch Klagen,
wie sie aus Kronach eingegangen waren; hier forderten die Bürger, „daß
die Juden aus Kronach fortgeschafft werden“
[162]
.
Am 8. Mai 1700 verfügte Lothar Franz von Schönborn, Juden dürften
sich im Hochstift nur dort niederlassen, wo bereits Glaubensgenossen
wohnten, und auch in diesen Orten solle die Zahl der Haushalte „nicht
vermehrt, sondern möglichst reducirt werden“. Gleichzeitig untersagte
er den Juden, mit Lebensmitteln, neuem Stahl und Eisen oder Gewehren zu
handeln; ihre Befugnis wurde auf Geschäfte mit Textilien, Schmuck,
Altmetall, Pferden und nicht gemästeten Rindern beschränkt – was
nicht nur zu Klagen der Juden, sondern auch zu Beschwerden der
Reichsritter führte, in deren Dörfern Juden lebten. Mehr denn je
beherrschte der Klein- und Hausierhandel fortan die jüdischen
Landgemeinden.
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