Als großer militärischer
Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges gilt allgemein die deutsche Niederlage bei
Stalingrad im Winter 1942/43. Nachdem es den Deutschen 1941 nicht gelungen war,
die Sowjetunion entscheidend zu schlagen, sollte dies 1942 mit der Eroberung
der sowjetischen Industriezentren am Don und der Erdölgebiete im Kaukasus
gelingen.[70] Beeinflusst durch den schnellen Vormarsch im Sommer
1942, erteilte Hitler die Weisung, die beiden Hauptziele gleichzeitig statt nacheinander zu erobern, ein Vorhaben, das zu einer Zweiteilung der
militärischen Kräfte führte.[71]
Nachdem es der deutschen 6. Armee im
September und Oktober unter
verlustreichen Kämpfen gelungen war, Stalingrad zu einem Großteil
einzunehmen, setzte am 19.11.42
eine Gegenoffensive der Roten Armee
ein, die innerhalb von drei Tagen die 6. Armee vollständig einkesseln konnte.[72]
Hitler verbot einen Ausbruch und rief zum Durchhalten auf. Ein Entsatzversuch
sowie die Versorgung der eingeschlossenen Verbände durch die Luft scheiterten.[73] Am 31.1.43 mussten die Deutschen nach
verlustreichen Kämpfen kapitulieren.[74] Von nun an waren sie im Osten, aber auch an den anderen Kriegsschauplätzen,
in der Defensive.[75]
Die Darstellung dieser
Vorgänge durch das Lichtenfelser Tagblatt
kann grob in vier verschiedene Phasen eingeteilt werden, in denen sich
jeweils analog Berichterstattung und militärische Lage in charakteristischer
Weise ändern und an denen sich die Wende in der Propaganda widerspiegelt.
Die erste Phase im Sommer
1942 bietet unter dem Eindruck des schnellen Vorgehens der Sommeroffensive im
Lichtenfelser Tagblatt ein optimistisches Bild, da die Propaganda ständig neue
Erfolge und gegnerische Verluste zu
vermelden hat.[76]
In der zweiten Phase, der
verlustreichen Einnahme der Stadt ab September 1942, berichtet das
Tagblatt verhältnismäßig wahrheitsgetreu
über die Lage. Dem Leser wird durch Meldungen über „erbittertes Ringen“ (LT
7.9.42) oder über „harte Häuserkämpfe“ (LT 18.9.42) der Eindruck vermittelt,
dass die Situation, anders als bei der
Offensive vom Sommer, ernst
ist. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass sich die
Berichterstattung über mehrere Wochen
hinweg mit der Lage der Kämpfe bei Stalingrad beschäftigt, ohne die Einnahme
der Stadt zu melden. In dieser Phase stilisierten die Nationalsozialisten unter
dem Eindruck der vorangegangenen Erfolge Stalingrad zu einem Prestigeobjekt,
was später ihre militärische Handlungsfreiheit einschränkte.[77] Als Musterbeispiel dafür gilt die Rede Hitlers zum Jahrestag des
Hitlerputsches vom 8.11.1942 - im Lichtenfelser Tagblatt abgedruckt am 9.11.42 - in der es unter
anderem heißt:
Ich wollte zur Wolga kommen,
und zwar an einer ganz bestimmten Stelle, an einer bestimmten Stadt.
Zufälligerweise trägt sie den Namen von Stalin selber. Also denken Sie nur
nicht, dass ich aus diesen Gründen dorthin
marschiert bin - sie könnte auch ganz anders heißen-, sondern weil dort
ein ganz wichtiger Punkt ist (...). Den wollte ich nehmen und - wissen Sie
- wir sind bescheiden, wir haben ihn nämlich! [78]
Im Gegensatz zur vorhergehenden Phase hält sich die
Propaganda in der dritten Phase nicht mehr an die Realität. Am Tag nach der
Einkesselung der 6. Armee am 23.11.42, berichtet die Zeitung von „im Raum
südlich von Stalingrad [anhaltenden] erbitterten Abwehrkämpfe[n]“. Am 25.6.42
meldet das Blatt, dass „südwestlich Stalingrad und im großen Don-Bogen (...) die
Sowjets unter rücksichtslosen Einsatz von Menschen und Material in die
Verteidigungsfront (...) eingebrochen [sind]“. Wichtig ist aber, dass diese
Meldungen aus dem Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) stammen, der in
Auszügen meist auf der zweiten Seite - oben - abgedruckt ist, und nur durch
aufmerksames Lesen entdeckt wird. Am 26.11.42[79] schreibt das Blatt im Artikel mit dem Titel
„Harte Abwehrkämpfe im Großen [sic!] Donbogen“ erstmals von „Verteidigungsinseln“
und „Igelstellungen“. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass das genannte
Gebiet westlich von Stalingrad gelegen
ist. Diese Meldung deutet an, dass die
Stadt von den Sowjets eingeschlossen sein könnte. Der Begriff ‘eingekesselt’
oder ‘eingeschlossen’ wird aber nicht verwendet. Der Auszug aus dem OKW-Bericht
enthält in den folgenden Ausgaben im
Monat Dezember 1942 sowie Anfang Januar 1943 meist sogar überhaupt keine
Meldungen über die Situation in Stalingrad . Die Berichterstattung in dieser
Zeit beschäftigt sich unter anderem mit
einer unbedeutenden Offensive weiter im
Norden der Ostfront. Dieser Abschnitt zeigt deutlich, wie die Berichterstattung
- mit zunehmenden Misserfolgen - versucht, die Situation zu verschweigen, und von
wichtigen Ereignissen ablenkt.
Die vierte Phase der Berichterstattung über die
Schlacht um Stalingrad beginnt
am 18.1.43, als die Stadt wieder auf die erste Seite der Ausgaben des Lichtenfelser Tagblattes rückt,
als „gewaltige[s] Vorfeld der deutschen Front“ bezeichnet und damit die Lage
der deutschen Truppen in der Stadt offengelegt wird. Am 20.1.43 berichtet die
Zeitung über „unvorstellbare Leistungen deutscher Soldaten“ in Stalingrad und am folgenden Tag verkündet
sie: „Vorbild bleibt der Kämpfer von Stalingrad“. Auch in den nächsten Ausgaben bezeichnet sie den
Kampf in der Stadt als „heldenmütig“ (23.1.43), lobt das „Unsagbare Heldentum
[der] Soldaten“ sowie das „leuchtende heroische Beispiel“ (25.1.43) und
verkündet: „Hell strahlt der Ruhm der
heldenhaften Kämpfer von Stalingrad“ (26.1.43). Am 4.2. meldet sie unter der
Schlagzeile: „Hohelied der Tapferkeit und Pflichterfüllung - Siege ertragen
kann jeder Schwächling, Schicksalsschläge aushalten, das können nur die
Starken“ die Kapitulation der letzten deutschen Einheiten . Das Ziel der Propaganda in der vierten Phase ist klar
erkennbar. Sie versucht die unausweichliche
Niederlage so gut wie möglich vor der Bevölkerung auszunützen. Dazu gab
Goebbels die Anweisung, den Untergang der
6. Armee „ psychologisch zur
Kräftigung unseres Volkes“ [80]
zu nutzen. Die Propaganda zeichnet deshalb
in den letzten Tagen der Berichterstattung das nationalsozialistische
Idealbild eines Soldaten, von dem es Heldentum, Pflichterfüllung und Gehorsam,
sowie Selbstaufopferung und Kampf bis zum Ende erwartet.
Die Niederlage bei
Stalingrad markierte aber, trotz dieser intensiven Bemühungen der Presse, einen
Wendepunkt in der Stimmungslage der
Bevölkerung. Nach dem angekündigten Sieg (Phase zwei) sorgte die Niederlage nun für einen Vertrauensverlust in die Führung.[81]
Die vier Phasen sind dabei charakteristisch für den gesamten Krieg. Bei
Erfolgen sind die Zeitungsberichte relativ wahrheitsgetreu. Bei ungünstigen
militärischen Entwicklungen und
Niederlagen gibt die Presse die Sachverhalte falsch, verzögert oder
überhaupt nicht wieder. Gegen
Kriegsende erhält die Propaganda dann
wie in Phase vier einen fanatisch-
ideologischen Charakter.
3.2.2
Wandel
der Darstellungsweise des U-Bootkrieges [82]
In der seit Kriegsbeginn
stattfindenden ‘Schlacht im Atlantik‘ versuchte die deutsche Kriegsmarine,
Englands transatlantische Nachschubverbindungen so zu stören, dass
eine
Fortsetzung des Krieges für England unmöglich sein würde.[83] Zwar überstiegen die englischen Verluste an
Schiffen die der Neubauten, doch eine konsequente und
wirkungsvolle Seeblockade scheiterte an der zu kleinen Zahl an U-Booten, der
Hauptwaffe der Deutschen in der Atlantikschlacht.[84] Als nach einem wechselhaften Verlauf der Schlacht und dem Kriegseintritt der USA im Sommer 1942 und dann im Frühjahr 1943 erstmals die als Mindestmaß betrachtete Anzahl an U-Booten zur
Verfügung stand und
Versenkungsziffern erreicht
wurden, die einen deutschen Erfolg in Aussicht stellten,[85]
trat im Mai 1943 die Wende im U-Bootkrieg ein. Sie war vor allem einer Reihe von alliierten Maßnahmen zu verdanken,
die jetzt mit einem Mal Wirkung
zeigten. Zum einen gelang es durch neue Ortungsgeräte und eine lückenlose
Luftüberwachung die alliierten
Geleitzüge fast vollständig zu schützen.[86]
Zum anderen war es durch ein großes Schiffbauprogramm der USA möglich, die
Verluste mehr als auszugleichen, so dass
der Tonnagekrieg unmöglich von den U-Booten gewonnen werden konnte.
Hinzu kam noch die entscheidende Tatsache, dass es den Engländern gelungen war,
den deutschen Funkverkehr zu entschlüsseln.
Damit konnte man die Geleitzüge um die ‘U-Boot Rudel’
herumlenken oder diese gezielt aufspüren
und vernichten.[87]
Aufgrund der hohen Verluste wurde die ‘Schlacht im Atlantik’ im Mai 1943 von
den Deutschen abgebrochen.[88]
Dies stellte auf dem westeuropäischen Kriegsschauplatz eine Wende dar, da der
Nachschub und davon abhängende Operationen (Landung in der Normandie ) nicht
mehr behindert werden konnten .
Würde man nun die deutsche
Niederlage im Atlantik und ihre Darstellung
im Lichtenfelser Tagblatt genau untersuchen, so wäre dies sehr
schwierig, da sich die Entwicklungen über längere Zeiträume hinziehen und
nicht, wie beim Landkrieg, chronologisch
ineinander übergehen.
Interessant ist aber, wie die
Propaganda insgesamt versucht,
Erfolge hervorzuheben und andererseits - nach der Wende- die Misserfolge zu kaschieren und damit die
Aufmerksamkeit und Meinungsbildung der
Leser zu beeinflussen und zu lenken.
Im März 1943 versenkten die
Achsenmächte 693 000 BRT an alliiertem Schiffsraum. Davon hatten die U-Boote
einen Anteil von 627 000 BRT und
überschritten damit die geforderte Mindestzahl von 600000 BRT.[89]
Die Erfolge erfährt der Leser durch die lokale Presse, wie folgende Beispiele
zeigen, ausführlich: „36 Schiffe mit 201000 BRT versenkt“ (LT 12.3.43), „Wieder
75000 BRT versenkt“ (LT13.3.43), „Ueber 100000 Tonnen wertvollsten
Kriegsmaterial haben Nordafrika nicht erreicht“ (LT 25.3.43). Am 2.4.43 schreibt die Zeitung: „Noch hat
der U-Boot-Kampf gegen die Feindtonnage den Höhepunkt noch nicht erreicht“.
Damit bekommt der Leser den gewollten
Gesamteindruck, die deutsche Kriegführung sei ‘erfolgreich’.
In den folgenden Monaten,
als die ‘Erfolge’ ausbleiben (April: 235 000 BRT im Nordatlantik, Mai: 164 000 BRT im Nordatlantik)[90]
verschwinden die Meldungen über den U-Bootkrieg fast vollständig. Am 26.6.43
heißt es dann in einem Kommentar „U-Boot Dämmerung?“: „Natürlich ertönen (...)
Stimmen, die eine Ausschaltung der U-
Boot- Gefahr glauben machen. Neben dem scheinbaren Rückgang der
Versenkungsziffern, die ja nur im Vergleich zu den außergewöhnlich hohen Ergebnissen des Frühjahrs als klein
angesehen werden können". Der Kommentar
macht deutlich, wie die
Propaganda die Erfolglosigkeit der deutschen Marine verschleiern will.
Während sie im März noch verkündete, man habe „den Höhepunkt noch nicht
erreicht“, relativiert dieser Kommentar diese
Erfolge der Deutschen als „außergewöhnlich“. Der U-Bootkrieg spielt im restlichen Kriegsverlauf sowohl
militärisch wie in der Zeitung so gut wie keine Rolle. Lediglich der
kleingedruckte OKW-Bericht meldet am Anfang jeden Monats die Versenkungen des
Vormonats. Damit wird die ungünstige
Lage dem Leser zwar nicht verschwiegen, seine Aufmerksamkeit aber
dennoch durch graphische Mittel und die
Häufigkeit der Meldungen stark beeinflusst, so dass die Misserfolge ihm möglichst nicht bewusst werden.