BEILAGEN

 

Titelblatt

Inhalt

Vorwort

Kap. 1

Kap. 2

Kap 3.1

Kap 3.2

Kap 3.3

Kap. 4

Quellen

3.3 Zusammenbruch Deutschlands 1944-1945

In den  beiden letzten Kriegsjahren zeichnete sich die deutsche Niederlage unter der Übermacht der Alliierten deutlich ab. Die beiden folgenden Beispiele zeigen, wie die Propaganda zunächst aus der Defensive auf die Entwicklungen reagiert und unter dem Eindruck des endgültigen Zusammenbruchs den Widerstand der Bevölkerung zu stärken und die Niederlage abzuwenden versucht. 

3.3.1 Darstellung der alliierten Landung in der Normandie [91]

Am 6. Juni 1944 begann die Invasion der westlichen Alliierten auf dem  Kontinent. Der Ort der Invasion, die Normandie, war für die Deutschen eine Überraschung, da man  mit einer Invasion an der Küste bei Calais gerechnet hatte.  Der von den Deutschen zur Abwehr errichtete Atlantikwall stellte für die alliierten Operationen kein nennenswertes Hindernis dar und konnte rasch überwunden werden.[92] Die Gegenmaßnahmen der Wehrmacht scheiterten vor allem  an der alliierten Luftüberlegenheit sowie an Streitigkeiten  (und damit verbundenen Verzögerungen) im deutschen Generalstab.[93] Auch die erhoffte Wirkung der neu entwickelten ‘Vergeltungswaffen’,  mit deren Einsatz man nach der Invasion begann, blieb aus.[94]  Im Gegenzug bauten die alliierten Streitkräfte ihre Landungsköpfe systematisch aus und am 30.7.44 gelang ihnen der entscheidende Durchbruch durch die deutsche Front bei Avranches.[95]  Die Deutschen mussten sich nun bis an die deutsche Grenze und nach Holland absetzen. [96] 

 Die folgenden Untersuchungen richten sich auf die Berichterstattung des Zeitraums vom Zeitpunkt der Landung bis zum entscheidenden alliierten Durchbruch bei Avranches vom 30.7.44. Sie sollen im Wesentlichen die Eigenart der Pressepropaganda anhand jenes Kriegszeitraumes aufzeigen.

In den ersten Tagen der Invasion gibt die Berichterstattung dem Leser den Anschein,  die Lage sei auf seiten der Deutschen unter Kontrolle.  Dies zeigt nicht nur die sehr detaillierte Schilderung der alliierten Landung (LT 7.6.44),  sondern auch die Behauptung, den Invasoren sei keine Überraschung gelungen. So steht am 7.6.44 im Lichtenfelser Tagblatt zu lesen, dass das OKW „die taktischen Absichten des nicht besonders phantasiebegabten Feindes durchschaut [habe].  Der Küstenstreifen [könne] zu den stärksten Befestigungswerken des Atlantikwalls gerechnet werden“. Mit der Ankündigung, man müsse sich „über einen längeren Zeitraum“ mit der Invasion beschäftigen  und es könne „im weiteren Verlauf der Kämpfe angesichts der feindlichen Stärke (...) auch zu schweren Situationen kommen“, greift die Propaganda  möglichen Misserfolgen voraus. Die Zeitung weist täglich darauf hin, dass sich die „Invasion immer noch in der Anfangsphase“ ( 9.6.44) befinde und  dass der Feind seine Kräfte erst noch sammeln müsse. (10.6.44) Auch über die deutschen Gegenmaßnahmen urteilt das Lichtenfelser Tagblatt , dass sie sich „noch im Stadium der Entwicklung [befänden], so dass der große Zusammenstoß zwischen Angriffs- und Abwehrtruppen erst noch zu erwarten [sei].“ (10.6.44)  Diese Lagebeurteilungen vermitteln  ebenfalls   den Eindruck, man habe das Kriegsgeschehen unter Kontrolle. Sie sind aber objektiv falsch, da sich das militärische Kräfteverhältnis vom Zeitpunkt der Invasion an immer   zuungunsten der Verteidiger entwickelt. Begleitend zu diesen Meldungen sind im gesamten Verlauf der Invasion täglich Meldungen über gegnerische Verluste im Lichtenfelser Tagblatt  zu finden, die ebenfalls den falschen Schluss zulassen, die deutsche Kriegführung sei erfolgreich.

 In der Ausgabe vom 17.6.1944 berichtet das Lichtenfelser Tagblatt zum ersten Mal vom Einsatz der sogenannten deutschen Vergeltungswaffen. Dazu meldet es: „Unsere Gegenrechnung (...) Südengland und das Stadtgebiet von London wurden in der vergangenen Nacht mit neuartigen Sprengkörpern schwersten Kalibers belegt“ und  dies hat eine „befreiende Genugtuung im ganzen deutschen Volke“ zu Folge, da es die Angriffe auf England als Kompensation für die alliierten Angriffe auf deutsche Städte betrachtet. Die Hauptereignisse  an der Invasionsfront, die sich immer mehr zum Nachteil der Deutschen entwickeln, treten mit den täglichen Berichten über die Vergeltungswaffen und über das Attentat vom 20. Juli  weiter  in den Hintergrund. Sucht man Hinweise auf den entscheidenden Durchbruch bei Avranches (30.7.44), so sind diese nur im kleingedruckten OKW-Bericht auf der zweiten Seite des Tagblattes  zu finden. In den Ausgaben vom 26. Juli bis zum 29.Juli berichtet das Tagblatt über „Abwehrschlachten“ und „Abwehrerfolge“ in diesem Gebiet und am  31.7.44 berichtet es über eine „erfolgreiche Abwehr feindlicher Durchbruchsversuche“. Am 2.8.44 schreibt es: „Der auf dem Westflügel tief im unsere Stellungen eingebrochene Feind wurde hart südlich von Avranches (...) aufgefangen.“ Erst am 4.8.44 schreibt  die Zeitung  über einen Durchbruch bei Avranches, und über „strahlenförmiges Vorgehen“ des Feindes. Noch am 7.8.1944 behauptet die Propaganda  sogar, dass das „Einsickern bei Avranches noch zu keinem Erfolg fundamentaler Bedeutung geführt“ habe. Diese Meldungen zeigen, dass die Berichterstattung von Anfang an sehr unrealistisch ist, denn sie gibt die grundlegenden Entwicklungen  unauffällig[97] und erst zu spät bekannt, oder verschleiert die Lage grundlegend.  Insgesamt zeigt dieser Abschnitt  wie die Propaganda die Bevölkerung in wesentlichen Punkten falsch oder unzureichend informiert. Wichtig ist hierbei, dass sie, anders als in den Kampagnen zu Kriegsbeginn, keine klar erkennbare Linie verfolgt, sondern vielmehr auf  militärische Entwicklungen  konzeptlos  reagiert.  Bei der Aufgabe der Mobilisierung der Bevölkerung kommt der -möglichst positiven - Berichterstattung über den Krieg keine entscheidende Wirkung zu. Dies zeigt die Tatsache, dass sich seit der Schlacht um Stalingrad der inhaltliche  Schwerpunkt  des Lichtenfelser Tagblatts sich  nicht mehr ausschließlich auf den Krieg konzentriert.  Eine immer  größere Rolle spielen die häufig  abgedruckte Reden, Ansprachen  oder unzählige Anzeigen und Aufrufe.

3.3.2 Untersuchung der Darstellungen  vom März 1945 [98]

Im März 1945 stand Deutschland kurz vor der Kapitulation: Die Alliierten hatten Rhein und Oder überquert und besetzten im Verlauf des Monats weite Teile Deutschlands.[99] Die Nationalsozialisten forderten fanatischen Widerstand bis  zuletzt, und die Propaganda sollte die Bevölkerung dazu bewegen.

 Um dieses Ziel zu erreichen,  wendet sie zum ersten Mal seit der Phase der Expansion  eine klar erkennbare Strategie an. Der Leser des Lichtenfelser Tagblatts, dessen Ausgaben manchmal nur noch aus einer Seite bestehen, wird  mittels zweier  Argumentationsschienen zum letzten Einsatz aufgerufen. Zum einen droht die Propagandamaschinerie mit den Folgen einer Niederlage.  So  berichtet  der Artikel „Das wahre Gesicht des Bolschewismus“ am  7.3.45 von der „systematische[n] Ausrottung des deutschen Volkes“ durch die Rote Armee. Am 10.3.45 droht das Tagblatt : „ Fünf Millionen Deutsche müssen verhungern - Das [ist] Churchills Wille“.   In der Ausgabe vom  16.3.45 ist  im Lichtenfelser Tagblatt ein sowjetischer Befehl abgedruckt, in dem Deutsche zum Arbeitsdienst in Sibirien gerufen werden.  Neben den zu befürchtenden  Folgen zeichnet die Propaganda die Möglichkeit des Widerstandes als Lösung . Dazu dienen vor allem fast täglich erscheinende Berichte, die den ab Herbst 1944 aufgestellten Volkssturm[100] verherrlichen. So sind Zeitungsartikel mit Titulierungen zu finden wie zum Beispiel: „Erster Volkssturmmann mit dem Ritterkreuz“(3.3.45) oder „Panzerknacker auf Fahrrad (...) Panzerfaust einfach fabelhaft“. [101] Außerdem  finden sich in  jenen Tagen mehrere  abgedruckte  Reden,  in denen zum Widerstand aufgerufen wird.  Am 1.3.45 wird in einer Rede von Goebbels die Parallele mit der Lage Englands und der  Sowjetunion in den Jahren 1940 beziehungsweise 1941  gezogen und damit angedeutet, dass die Lage nicht ausweglos sei, gleichzeitig aber mit den Folgen einer Niederlage gedroht: „Der Feind hat uns einen wirkungsvollen Anschauungsunterricht darüber erteilt , was er mit uns anfangen würde, wenn wir versagten.“ Einen Monat später scheint die militärische Lage so aussichtslos, dass die  erwähnte Strategie nicht mehr fortgesetzt wird. In dem  auf der Titelseite platzierten  letzten Aufruf des hiesigen  Gauleiters Wächtler vom 31.3.45, welcher den Fanatismus verdeutlicht, den die Nationalsozialisten  von der Bevölkerung erwarteten,   steht zu lesen:  

Feind in Wehrkreis eingebrochen (...) Jetzt ist in Wahrheit jeder Hof eine Burg , jede Fabrik eine Festung, jedes Haus ein Bollwerk. Alle müssen nun eng zusammen stehen. Jetzt gilt [sic!] es kein persönliches Interesse mehr, unser ganzes Ich, der letzte Tropfen Blut gehört unserem Volk und unserem Führer. 

 Zur Doppelstategie von Drohung und Lösung kommt hinzu, dass die Presse über  die militärische Lage nur soweit berichtet, als dass der Ernst der Situation bewusst gemacht wird, aber die Lage dennoch nicht als hoffnungslos erscheinen soll.[102] Das Bild, das der Leser des Lichtenfelser Tagblattes  über die militärische Lage erhält, ist demnach  nicht vollständig,  sondern setzt sich  aus einzelnen bruchstückhaften Meldungen zusammen.

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[91] Siehe dazu Lichtenfelser Tagblatt Ausgaben vom 7.6.1944-7.8.1944, Nummern 131-183

[92] Johannes Hempel (Hrsg.), Der Nationalsozialismus Band III , S. 73

[93] Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, S. 290 f.f.

[94] Ebd., S. 293

[95] Ebd., S. 296

[96] Ebd., S. 299 f.f.

[97] Beachte hier vor allem Plazierung der Meldungen und Wortwahl wie „Einsickern“

[98] Siehe dazu Lichtenfelser Tagblatt Ausgaben vom 1.3.45- 31.3.45 ,Nummern 51-76

[99] Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, Seiten,  S. 412-428

[100] Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.) , Der Zweite Weltkrieg Grundzüge der Politik und Strategie in Dokumenten, S. 362 f.

[101] Hierzu ist anzufügen, daß die Propaganda für den Volkssturm  die Lichtenfelser Bevölkerung direkt betraf. Am 12.3.1945 wird  in Lichtenfels der Jahrgang 1929 per Zeitungsanzeige zum Volkssturm   eingezogen.

[102] Johannes Hempel (Hrsg.), Der Nationalsozialismus Band III, S. 168