3.3.1 Darstellung der alliierten Landung in der
Normandie
[91]
Am 6. Juni 1944 begann die
Invasion der westlichen Alliierten auf dem
Kontinent. Der Ort der Invasion, die Normandie, war für die Deutschen
eine Überraschung, da man mit einer
Invasion an der Küste bei Calais gerechnet hatte. Der von den Deutschen zur Abwehr errichtete Atlantikwall stellte
für die alliierten Operationen kein nennenswertes Hindernis dar und konnte
rasch überwunden werden.[92]
Die Gegenmaßnahmen der Wehrmacht scheiterten vor allem an der alliierten Luftüberlegenheit sowie an
Streitigkeiten (und damit verbundenen
Verzögerungen) im deutschen Generalstab.[93]
Auch die erhoffte Wirkung der neu entwickelten ‘Vergeltungswaffen’, mit deren Einsatz man nach der Invasion
begann, blieb aus.[94] Im Gegenzug bauten die alliierten
Streitkräfte ihre Landungsköpfe systematisch aus und am 30.7.44 gelang ihnen
der entscheidende Durchbruch durch die deutsche Front bei Avranches.[95] Die Deutschen mussten sich nun bis an die
deutsche Grenze und nach Holland absetzen. [96]
Die folgenden Untersuchungen richten sich auf die
Berichterstattung des Zeitraums vom Zeitpunkt der Landung bis zum
entscheidenden alliierten Durchbruch bei Avranches vom 30.7.44. Sie sollen im
Wesentlichen die Eigenart der Pressepropaganda anhand jenes Kriegszeitraumes
aufzeigen.
In den ersten Tagen der
Invasion gibt die Berichterstattung dem Leser den Anschein, die Lage sei auf seiten der Deutschen unter
Kontrolle. Dies zeigt nicht nur die
sehr detaillierte Schilderung der alliierten Landung (LT 7.6.44), sondern auch die Behauptung, den Invasoren
sei keine Überraschung gelungen. So steht am 7.6.44 im Lichtenfelser Tagblatt
zu lesen, dass das OKW „die taktischen Absichten des nicht besonders
phantasiebegabten Feindes durchschaut [habe].
Der Küstenstreifen [könne] zu den stärksten Befestigungswerken des
Atlantikwalls gerechnet werden“. Mit der Ankündigung, man müsse sich „über
einen längeren Zeitraum“ mit der Invasion beschäftigen und es könne „im weiteren Verlauf der Kämpfe
angesichts der feindlichen Stärke (...) auch zu schweren Situationen kommen“,
greift die Propaganda möglichen Misserfolgen
voraus. Die Zeitung weist täglich darauf hin, dass sich die
„Invasion immer noch in der Anfangsphase“ ( 9.6.44) befinde und dass der Feind seine Kräfte erst noch sammeln
müsse. (10.6.44) Auch über die deutschen Gegenmaßnahmen urteilt das
Lichtenfelser Tagblatt , dass sie sich „noch im Stadium der Entwicklung
[befänden], so dass der große Zusammenstoß zwischen Angriffs- und Abwehrtruppen
erst noch zu erwarten [sei].“ (10.6.44)
Diese Lagebeurteilungen vermitteln
ebenfalls den Eindruck, man
habe das Kriegsgeschehen unter Kontrolle. Sie sind aber objektiv falsch, da
sich das militärische Kräfteverhältnis vom Zeitpunkt der Invasion an immer zuungunsten der Verteidiger entwickelt.
Begleitend zu diesen Meldungen sind im gesamten Verlauf der Invasion täglich
Meldungen über gegnerische Verluste im Lichtenfelser Tagblatt zu finden, die ebenfalls den falschen Schluss
zulassen, die deutsche Kriegführung sei erfolgreich.
In der Ausgabe vom 17.6.1944 berichtet das Lichtenfelser Tagblatt
zum ersten Mal vom Einsatz der sogenannten deutschen Vergeltungswaffen. Dazu
meldet es: „Unsere Gegenrechnung (...) Südengland und das Stadtgebiet von
London wurden in der vergangenen Nacht mit neuartigen Sprengkörpern schwersten
Kalibers belegt“ und dies hat eine
„befreiende Genugtuung im ganzen deutschen Volke“ zu Folge, da es die Angriffe
auf England als Kompensation für die alliierten Angriffe auf deutsche Städte
betrachtet. Die Hauptereignisse an der
Invasionsfront, die sich immer mehr zum Nachteil der Deutschen entwickeln,
treten mit den täglichen Berichten über die Vergeltungswaffen und über das Attentat
vom 20. Juli weiter in den Hintergrund. Sucht man Hinweise auf
den entscheidenden Durchbruch bei Avranches (30.7.44), so sind diese nur im
kleingedruckten OKW-Bericht auf der zweiten Seite des Tagblattes zu finden. In den Ausgaben vom 26. Juli bis zum
29.Juli berichtet das Tagblatt über „Abwehrschlachten“ und „Abwehrerfolge“ in
diesem Gebiet und am 31.7.44 berichtet
es über eine „erfolgreiche Abwehr feindlicher Durchbruchsversuche“. Am 2.8.44
schreibt es: „Der auf dem Westflügel tief im unsere Stellungen eingebrochene
Feind wurde hart südlich von Avranches (...) aufgefangen.“ Erst am 4.8.44
schreibt die Zeitung über einen Durchbruch bei Avranches, und
über „strahlenförmiges Vorgehen“ des Feindes. Noch am 7.8.1944 behauptet die
Propaganda sogar, dass das „Einsickern
bei Avranches noch zu keinem Erfolg fundamentaler Bedeutung geführt“ habe.
Diese Meldungen zeigen, dass die Berichterstattung von Anfang an sehr
unrealistisch ist, denn sie gibt die grundlegenden Entwicklungen unauffällig[97]
und erst zu spät bekannt, oder verschleiert die Lage grundlegend. Insgesamt zeigt dieser Abschnitt wie die Propaganda die Bevölkerung in
wesentlichen Punkten falsch oder unzureichend informiert. Wichtig ist hierbei, dass
sie, anders als in den Kampagnen zu Kriegsbeginn, keine klar erkennbare
Linie verfolgt, sondern vielmehr auf
militärische Entwicklungen
konzeptlos reagiert. Bei der Aufgabe der Mobilisierung der
Bevölkerung kommt der -möglichst positiven - Berichterstattung über den Krieg
keine entscheidende Wirkung zu. Dies zeigt die Tatsache, dass sich seit der
Schlacht um Stalingrad der inhaltliche
Schwerpunkt des Lichtenfelser
Tagblatts sich nicht mehr
ausschließlich auf den Krieg konzentriert.
Eine immer größere Rolle spielen
die häufig abgedruckte Reden,
Ansprachen oder unzählige Anzeigen und
Aufrufe.
3.3.2 Untersuchung der Darstellungen vom März 1945
[98]
Im März 1945 stand
Deutschland kurz vor der Kapitulation: Die Alliierten hatten Rhein und Oder
überquert und besetzten im Verlauf des Monats weite Teile Deutschlands.[99]
Die Nationalsozialisten forderten fanatischen Widerstand bis zuletzt, und die Propaganda sollte die
Bevölkerung dazu bewegen.
Um dieses Ziel zu erreichen,
wendet sie zum ersten Mal seit der Phase der Expansion eine klar erkennbare Strategie an. Der Leser
des Lichtenfelser Tagblatts, dessen Ausgaben manchmal nur noch aus einer Seite
bestehen, wird mittels zweier Argumentationsschienen zum letzten Einsatz
aufgerufen. Zum einen droht die Propagandamaschinerie mit den Folgen einer
Niederlage. So berichtet
der Artikel „Das wahre Gesicht des Bolschewismus“ am 7.3.45 von der „systematische[n] Ausrottung
des deutschen Volkes“ durch die Rote Armee. Am 10.3.45 droht das Tagblatt : „
Fünf Millionen Deutsche müssen verhungern - Das [ist] Churchills Wille“. In der Ausgabe vom 16.3.45 ist
im Lichtenfelser Tagblatt ein sowjetischer Befehl abgedruckt, in dem
Deutsche zum Arbeitsdienst in Sibirien gerufen werden. Neben den zu befürchtenden Folgen zeichnet die Propaganda die
Möglichkeit des Widerstandes als Lösung . Dazu dienen vor allem fast täglich
erscheinende Berichte, die den ab Herbst 1944 aufgestellten Volkssturm[100]
verherrlichen. So sind Zeitungsartikel mit Titulierungen zu finden wie zum
Beispiel: „Erster Volkssturmmann mit dem Ritterkreuz“(3.3.45) oder
„Panzerknacker auf Fahrrad (...) Panzerfaust einfach fabelhaft“. [101]
Außerdem finden sich in jenen Tagen mehrere abgedruckte
Reden, in denen zum Widerstand
aufgerufen wird. Am 1.3.45 wird in
einer Rede von Goebbels die Parallele mit der Lage Englands und der Sowjetunion in den Jahren 1940
beziehungsweise 1941 gezogen und damit
angedeutet, dass die Lage nicht ausweglos sei, gleichzeitig aber mit den Folgen
einer Niederlage gedroht: „Der Feind hat uns einen wirkungsvollen
Anschauungsunterricht darüber erteilt , was er mit uns anfangen würde, wenn wir
versagten.“ Einen Monat später scheint die militärische Lage so aussichtslos,
dass die erwähnte Strategie nicht mehr
fortgesetzt wird. In dem auf der Titelseite
platzierten letzten Aufruf des
hiesigen Gauleiters Wächtler vom
31.3.45, welcher den Fanatismus verdeutlicht, den die Nationalsozialisten von der Bevölkerung erwarteten, steht zu lesen:
Feind in Wehrkreis
eingebrochen (...) Jetzt ist in Wahrheit jeder Hof eine Burg , jede Fabrik eine
Festung, jedes Haus ein Bollwerk. Alle müssen nun eng zusammen stehen. Jetzt
gilt [sic!] es kein persönliches Interesse mehr, unser ganzes Ich, der letzte
Tropfen Blut gehört unserem Volk und unserem Führer.
Zur Doppelstategie von
Drohung und Lösung kommt hinzu, dass die Presse über die militärische Lage nur soweit berichtet, als dass der Ernst der
Situation bewusst gemacht wird, aber die Lage dennoch nicht als hoffnungslos
erscheinen soll.[102]
Das Bild, das der Leser des Lichtenfelser Tagblattes über die militärische Lage erhält, ist demnach nicht vollständig, sondern setzt sich aus
einzelnen bruchstückhaften Meldungen zusammen.