Natürlich
können bei weitem nicht alle Bereiche einer Kultur nur durch Befunde
hinreichend erfasst werden. Aus einer Zeit ohne mündliche und
schriftliche Überlieferung bleiben so wichtige Bereiche wie Sitten und
Gebräuche, Denkweisen, Kulte und Rituale weitgehend im Dunkeln.
Wollen
wir uns die Bewusstseinswelt der neolithischen Siedler von Draisdorf
vorstellen, so sind wir vollständig auf Analogien und Vermutungen
angewiesen, Funde, die z.B. auf religiöses Denken schließen ließen,
fehlen von dieser Fundstelle bis jetzt.
Man
darf annehmen, dass die frühen Bauern Anhänger einer Naturreligion
waren und alle natürlichen Erscheinungen verehrten, die Einfluss auf
Leben und Wachstum haben (z.B. Sonne, Regen, Wind, Erde u.ä.).
Vereinzelt finden sich Belege für solche Naturgottheiten. Besondere
Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang die seltenen Reste tönerner
Kultfigürchen, die als Muttergottheiten interpretiert werden. Bei der
Siedlungsgrabung des nur ca. 4 km entfernten Zilgendorf kam das Bein
eines solchen "Idols" zu Tage. Es erinnert an die weitaus älteren
Stein- oder Tonidole der ältesten neolithischen Kulturen des Vorderen
Orients.
Ebenso
wird das Fragment einer stilisierten Sitzfigur, die ein Gefäß hält
(aus Gaukönigshofen, Landkreis Würzburg), von den Archäologen "...als
Kultobjekt gedeutet, wobei man an einen Fruchtbarkeitskult denkt,
genauer gesagt an die Göttin des Regens, die aus einem Behälter das
Lebenswasser strömen lässt" 24).
Einen
interessanten Einblick in jungsteinzeitliche Glaubensvorstellungen
vermitteln auch die wichtigen Befunde aus der Jungfernhöhle bei
Tiefenellern (Landkreis Bamberg), die Otto Kunkel 1955 untersuchte. Die
hier vorgefundenen Skelettreste von 38 Menschen (vorwiegend junge
Frauen) und die an manchen Knochen festgestellten Schnittspuren deuten
auf Menschenopfer bzw. rituellen Kannibalismus hin. Offenbar wurden
diese Opfer einer Erdgöttin dargebracht, um diese zu besänftigen.
Dieser schreckliche Brauch entstand mit dem Ackerbau " ...
aus dem Gefühl der totalen Abhängigkeit von der Gnade der Götter"
25).
Bei
aller Vorsicht erweist sich also zumindest die romantisierende
Vorstellung des zufriedenen Bauern, der im Einklang mit sich und der
Natur ein beschauliches und glückliches Leben führt, als Illusion, die
nur auf dem Boden unseren Zweifelns an der heutigen Zivilisation
gedeiht.
Fußnoten:
24) Ebd. S. 30
25)
Schneider, Wolf: Wir Neandertaler, S. 182