Beilagen
Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Ursprung
2. Weimar
3. NS-System
4 Lichtenfels
4.1 Planung
4.2 Siedler
4.3 Kosten
4.4 Siedlerstelle
4.5 Leben
4.6 heute
Schluss
Quellen
Materialien

3. ÜBERNAHME UND ANPASSUNG IM NS-SYSTEM

Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, herrschte noch immer eine große Arbeitslosigkeit. Da sich die Wählerschaft der NSDAP vor allem aus Arbeitern, Angestellten und Angehörigen des Kleinbürgertums (25) zusammensetzte, mußte eine Politik betrieben werden, die zumindest dem äußeren Anschein nach allen Bevölkerungsgruppen gerecht wurde.

3.1 Zielsetzungen der Siedlungspolitik

Aufgrund der wirtschaftlichen Situation ergaben sich für den nationalsozialistischen Siedlungsbau die gleichen grundlegenden Ziele wie in der Weimarer Republik. Zunächst war das Wichtigste "die Verringerung der Arbeitslosenzahl" (26). Trotz eines "Fehlbedarfs von fast 1 Million Wohnungen" (27) wurde erst in andere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen investiert wie z.B.. den Autobahnbau. Da das Parteiprogramm der NSDAP kein eigenes wohnungspolitisches Programm enthielt, übernahm man die Weimarer Wohnungspolitik, obwohl es aus den Reihen der Nationalsozialisten starke Kritik an der vorstädtischen Kleinsiedlung gab. Die Zielsetzung war aber im großen und ganzen übereinstimmend: die "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit möglichst geringer Investitionsmenge", die "Seßhaftmachung der Bevölkerung" und die "Ankurbelung der Bauwirtschaft" (28)

Aus der Tabelle S.13 ergibt sich jedoch klar der geringe Stellenwert, den die Siedlungsförderung für den Nationalsozialismus im Vergleich zur Weimarer Republik hatte: Wie in den meisten Bereichen der Sozialpolitik widersprach die Realität dem, was die NSPropaganda als große Erfolge des neuen Systems anpries. Sowohl die Zahl der Neusiedler als auch die zur Verfügung gestellte Fläche ging im Vergleich zur vielgeschmähten Weimarer Republik kontinuierlich und stark zurück. Dies ist besonders deutlich erkennbar in den Jahren der militärischen Hochrüstung seit 1935.

3.2 Verwirklichung der Siedlungspläne

Der Siedlungsbau im Nationalsozialismus läßt sich in drei große Abschnitte gliedern: Im ersten Abschnitt von 1933 bis 1935/36 übernahm das Dritte Reich im wesentlichen die Planungen der Weimarer Republik und versuchte, sie mit nationalsozialistischer Ideologie zu überformen. Dann, 1936 - 1939/40, wurde die Siedlung eng in die Organisation der DAF eingegliedert, und das Reich dehnte, ähnlich wie in der Wirtschaft, auch im Wohnungsbau die Möglichkeit staatlicher Lenkung weiter aus. (29) Der dritte und letzte Teil von 1940 bis 1943 stand im Zeichen des Krieges. In diesem Abschnitt wurden bereits Entwürfe für Siedlungen nach einem gewonnenen Krieg, z. B. in der "Ostmark" (Österreich), gemacht. (30) Hier soll aber nur die erste Phase, 1933 - 1935/36, näher besprochen werden, da die anderen für die Stadtrandsiedlung Lichtenfels so gut wie keine Bedeutung hatten.

3.2.1 Organisation und Verwaltung

Zur Durchführung des Siedlungsprogramms wurden auf Reichsebene zwei Stellen eingerichtet: das Reichssiedlungskommissariat, das von Gottfried Feder geleitet wurde, und das Reichsheimstättenamt unter der Führung von J. W. Ludowici, der gleichzeitig "Siedlungsbeauftragter im Stabe des Stellvertreters des Führers" und "Stellvertreter des Reichskommissars" (31) war. (32) Das Reichssiedlungskommissariat setzte sich aus allen "mit dem Wohnungswesen und dem nichtbäuerlichen Siedlungswesen zuständigen behördlichen Stellen" (33) zusammen. Das Reichsheimstättenamt war hierarchisch, dem Führerprinzip entsprechend, aufgebaut und sollte "die nationalsozialistische Zielsetzung der Siedlungspolitik garantieren" (34). Es gehörte sowohl der NSDAP als auch der DAF an, und seine Mitarbeiter waren langjährige und überzeugte Parteimitglieder.

3.2.2. Ideologische Überformung

Die Kritik der Nationalsozialisten an den Planungen der Weimarer Republik richtete sich gegen die Lage der Siedlungen - am Rand von Großstädten -, die einfache und vor allem billige Bauausführung der Häuser, die Auswahl der Siedler und deren Beschränkung auf Erwerbslose. (35)

An der Lage wurde die Auswahl des Geländes für die ländlichen Siedlungen, das für eine gewinnbringende Bewirtschaftung nur schlecht geeignet war, bemängelt. Auch die Ansiedlung der Erwerbslosen am Stadtrand löste scharfe Kritik aus, da die Arbeitslosen aufgrund der abgeschiedenen Lage kaum die Möglichkeit hatten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die kostspielige Aufschließung des Siedlungsgeländes bei der im Vergleich zu großstädtischen Mietanlagen dünnen Besiedlung bot einen weiteren Angriffspunkt. Letztlich wurde dann auch noch bemängelt, "Primitivsiedlungen dieser Art" stünden der planmäßigen Ausweitung und Ausgestaltung der Städte entgegen" (36) und schadeten "dem Ansehen der Städte" (37). An der primitiven Bauausführung der Häuser wurde kritisiert, daß die "Lebensdauer (...) nicht im Einklang zu den nötigen Aufschließungskosteri" (38) stehe. Schließlich bemängelte man die Auswahl der Siedler nach Kriterien wie der Arbeitslosigkeit oder auch dem früheren Beruf (bevorzugt Maurer u. ä. wegen der Eigenleistungen).

Trotz dieser starken Kritik konnte die NSDAP es sich wegen des großen Zuspruchs in der Bevölkerung nicht leisten, das Siedlungsprogramm abzusetzen. Deshalb wurde die Gestaltung der NS-Ideologie angepaßt. Hier gab es sechs Grundmotive (39):

  • die Gemeinschaftsideologie, ausgedrückt in der Betriebsgemeinschaft, der Siedlungsgemeinschaft und schließlich in der Volksgemeinschaft,

  • die Autoritätsideologie, realisiert im Führerprinzip,

  • die "Blut und Boden"-Ideologie, repräsentiert durch die "natürliche" Organismustheorie, die Glorifizierung des Bauerntums, der "Heimat",
  • die "Sündenbockphilosophie" die in Verbindung mit der "völkischen" Rassenlehre ein Feindbild aufbaut, das für alle übel verantwortlich gemacht werden kann und den Massen Objekte liefert, an denen sie ihre Aggressionen entladen können,

  • die Eigentumsideologie, d.h. das Festhalten am Privateigentum als Grundlage des Wirtschaftssystems, und

  • den Militarismus, der die Bevölkerung ideologisch auf den Krieg vorbereitete." (40)

Nach diesen Grundmotiven sollte nun die Siedlung der Weimarer Republik zu einer im Dienst der Ideologie stehenden nationalsozialistischen Siedlung werden.

Die "Gemeinschaftsideologie" (41) sollte durch den engen Nachbarschaftskontakt verwirklicht werden. Die Siedler konnten das Geschehen innerhalb der Siedlung überblicken und fühlten sich dadurch integriert. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit sollte sich nach den Vorstellungen der NS-Ideologen übersetzen in eine Integration in die nationalsozialistische "Volksgemeinschaft",

Die "Autoritätsideologie" (42) wurde nur in der Organisation und der Verwaltung des Siedlungswesens realisiert (Reichsheimstättenamt).

Die "'Blut und Boden'-Ideologie" (43) spiegelte sich in der Forderung nach Grün und der Verwendung von überwiegend natürlichen Baustoffen wider. Die Arbeit auf der "eigenen Scholle", so hofften die NS-Ideologen, würde die Siedler zurückführen zu einer naturverwachsenen, bodenständigen und als "moralisch gesund" verstandenen Lebensauffassung führen. Auch der Mythos der "Heimat" (44) kam hier wieder zur Geltung. Er sollte durch die Gemeinschaft in der Siedlung und das Gefühl, Eigentümer seines Anwesens zu sein ("Eigentumsideologie" (45)), vermittelt werden.

Das beherrschende Motiv der äußeren Gestaltung der Siedlung war neben der "'Blut und Boden'-Ideologie" (46) (z. B. steiles Dach analog zur Bauweise vieler alter Bauernhaustypen) vor allem der "Militarismus" (47). Die Anordnung der Häuser in "'Reih und Glied' entlang der Siedlungsstraßen' (48) und die Uniformität der Anlage, speziell der Siedlerstellen, sollten die Bevölkerung "unbewußt an die militärische Ausrichtung der Organisation" (49) gewöhnen. Daß die Umsetzung dieser ideologischen Ziele in der Realität in größerem Umfang gelungen wäre, darf wohl bezweifelt werden.

3.2.3 Die verschiedenen Typen der Siedlung

Es gab vier verschiedene Siedlungstypen: die Kleinsiedlung, die Eigenheimsiedlung, die Mietwohnungssiedlung und die Gemeinschaftssiedlung. (50) Die Kleinsiedlung war eine eher ländliche Siedlung, bei der das eigentliche Siedlergrundstück nicht kleiner als 600 m2 sein sollte: Es war ja für gartenbaumäßige Nutzung vorgesehen. Die Kleinsiedlung hatte ein sehr monotones Erscheinungsbild, das auf die Tatsache zurückzuführen war, daß die Bauausführung vor allem anderen durch das Ziel möglichst geringer Baukosten bestimmt wurde. Ein anderer Aspekt für diese Gleichförmigkeit lag darin, daß die Stellen anfangs nach Beendigung des Baus unter den Siedlern verlost wurden. Das änderte sich aber, da der Siedler durch das Gefühl, an seinem eigenen Haus zu arbeiten, zu einer qualitätvolleren Arbeit motiviert werden sollte. Bei den Siedlungshäusern handelte es sich meist um relativ weit auseinanderstehende Doppel- oder Einzelhäuser. Die Siedlung wurde an der einen Seite meist von einer Straße abgegrenzt und endete "häufig in der Form eines Bogens" (51). Allerdings waren die Siedlerstellen nicht an das Kanalisationsnetz der Stadt angeschlossen, und der allgemeine Lebensstandard war somit sehr schlecht.

Eine andere, der Kleinsiedlung aber sehr ähnliche Form war die Eigenheimsiedlung, die sowohl einheitliche als auch gemischte Bebauung aufwies. Bei der Eigenheimsiedlung mit einheitlicher Bebauung stand nicht mehr der Gartenbau im Vordergrund, sondern viehmehr das Wohnen. Die Wohnfläche war größer als die der Kleinsiedlung und der Wohnkomfort höher. Die Häuser hatten Anschluß an das städtische Kanalsystem und eine gute Verbindung zur Stadt. Trotzdem wurde auch hier auf geringe Baukosten größter Wert gelegt. Die Eigenheimsiedlung mit gemischter Bebauung sprach vor allem die Mittelschicht an. Die Häuser wurden individuell gestaltet und erlangten den Wert eines Statussymbols. Das Gelände zeichnete sich durch die nahe Lage zum Stadtzentrum und die gute Infrastruktur aus.

Der Typ der Mietwohnungssiedlung wurde mit dem wirtschaftlichen Aufschwung "zum neuen Wohnungsideal für Minderbemittelte" (52). Es handelte sich hierbei meist um Wohnblocks.

Der vierte Siedlungstyp war die Gemeinschaftssiedlung. In ihr sollten "alle Gebäudeformen und -typen und Wohnungstypen und damit auch unterschiedliche Bewohnergruppen" (53) zusammengefaßt werden. Diese Siedlungsart wäre wohl am ehesten in einer Stadt zu verwirklichen gewesen. Die Siedlung sollte nach außen hin an Bevölkerungsdichte abnehmen. "Die größte Gebäudehöhe und -dichte befinden sich um das Zentrum herum." (54) Allerdings konnte aufgrund der "Beschränkung der einzelnen Gebäudetypen und -formen auf bestimmte Siedlungszonen" keine "Mischung der verschiedenen Bewohnerschichten erfolgen" (55).

3.2.4 Zur Finanzierung der Kleinsiedlung

Die Kleinsiedlungen wurden anfangs, weil sie ja überwiegend noch Erwerbslosensiedlungen waren, fast völlig über Reichsdarlehen bezahlt. (56) Da sich der Staat allmählich aus der Finanzierung der Siedlungen zurückziehen wollte, versuchte man, den privaten Geldmarkt zu interessieren. Die Kosten für die Siedlerstelle sollten etwa zwischen 4000 RM und 4500 RM liegen. Das Reich gewährte in der Regel noch Reichsdarlehen in Höhe von 1500 RM "(4 % Zins + 1 Tilgung)" (57). Die Dauerfinanzierung, bis zu etwa 60 % (58), erfolgte dann auf dem privaten Kapitalmarkt durch private erste und - soweit wie möglich zweite Hypotheken.(59). Die Eigenleistung der Siedler sollte aber mindestens 20 % des Bau- und Bodenwertes (60) betragen. Bei Familien mit vier und mehr Kindern konnten sie auf 15 % reduziert werden.

"Soweit die Eigenleistungen nicht durch Beibringung von eigenen Barmitteln oder letztstellig zu sichernden Darlehen von Verwandten, Betriebsführern usw. aufgebracht werden kann, ist eine Ergänzung teilweise auch durch eigene Mitarbeit, wie Baugrubenaushub o. ä., möglich."(61)

Die Kleinsiedlung war "von allen Stempelabgaben, Gebühren und Steuern des Reiches, der Länder usw., namentlich von Umsatzsteuer, Grunderwerbssteuer und Wertzuwachssteuer befreit" (62). Weiterhin galten die Siedlerstellen auch schon "während der ersten 3 Jahre als steuerbegünstigte Eigenheime" (63). In diesen ersten drei Jahren waren die Siedlerstellen nur auf Probe gepachtet, und die Miete durfte nicht höher als 25 RM pro Monat sein.



Anmerkungen

(25) v g1. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 92 ff.
(26) ebd., S. 98
(27) ebd., S. 99
(28) ebd., S. 101
(28a) Kühnl S. 265
(29) ebd., S. 173
(30) vgl. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 5 ff.
(31) ebd., S. 125
(32) vgl. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 125 ff.
(33) ebd., S. 125
(34) ebd.
(35) vgl. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 110 ff.
(36) ebd. S. 111
(37) ebd.
(38) ebd., S. 111/112
(39) vgl. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 417 ff.
(40) ebd. S. 417/418
(41) ebd. S. 417
(42) ebd.
(43) ebd., S. 418
(44) ebd.
(45) ebd.
(46) ebd.
(47) ebd.
(48) ebd., S. 421
(49) ebd.
(50) vgl. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 279 / 303
(51) ed., S. 281
(52) ebd., S. 297
(53) ebd., S. 301
(54) ebd., S. 302
(55) ebd.
(56) vgl. Peltz/Dreckmann, 1987, S. 340 - 349, vgl. StadtAL, 672/3
(57) StadtAL, 672/3
(58) ebd.
(59) Peltz/Dreckmann, 1978, S. 345
(60) ebd.
(61) StadtAL, 672/3
(62) ebd.
(63) ebd.