Beilagen
Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Ursprung
2. Weimar
3. NS-System
4 Lichtenfels
4.1 Planung
4.2 Siedler
4.3 Kosten
4.4 Siedlerstelle
4.5 Leben
4.6 heute
Schluss
Quellen
Materialien

4.5 Das Leben in der Siedlung

Das Leben in der Siedlung war trotz der eigentlich günstigen Bedingungen nicht beneidenswert. (73) Die meisten Siedler waren einfache Arbeiter und hatten zwischen zwei und vier Kinder (74). Es standen ihnen einerseits relativ große Gärten zur Verfügung, in denen sie Obst und Gemüse anbauen konnten. Weiterhin hatten sie einen Stall, in dem sie Ziegen, Hasen, Gänse, Enten und Hühner hielten. Sie waren also durchaus in der Lage, sich weitgehend selbst zu versorgen. Andererseits war die Siedlung nicht an das Kanalisationssystem angeschlossen, und das Schmutzwasser wurde einfach in einen Graben vor dem Gartentor geschüttet. Fließendes Wasser gab es nur in der Küche. Der Strom war bis ins Erdgeschoß verlegt worden und konnte nur durch einen Münzautomaten für Groschen genutzt werden. So konnte es durchaus passieren, daß man sich, wenn man in der Nacht nach Hause kam und kein Kleingeld mehr hatte, im Dunkeln ausziehen und ins Bett gehen mußte. In die Stadt führten nur Feldwege oder Schotterstraßen, und die Entfernung war ziemlich groß. Da die Siedler aus ärmeren Verhältnissen kamen, hatten sie im Normalfall kein Auto und mußten die Strecke entweder mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen. Vor allem für die Frauen war dies ein großer Nachteil, da sie zum Einkaufen rund zwei Kilometer meist zu Fuß laufen mußten. Auch die Kinder hatten teilweise unter diesen Bedingungen zu leiden. Sie mußten jeden Morgen den weiten Weg bis zur Grundschule in der Kronacher Straße zurücklegen und waren auch noch, da die Siedler als Selbstversorger galten, von der Schulspeisung ausgeschlossen. Doch trotz oder auch gerade wegen dieser Nachteile entwickelten die Siedler schon bald ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander. Sie gründeten einen Siedlerbund, der, wie in anderen Siedlungen auch, automatisch der DAF angeschlossen wurde. Die Zielsetzung der Nationalsozialisten, dieses Gemeinschaftsgefühl in eine Identifikation mit der "Volksgemeinschaft" zu überführen, war aber wohl weitgehend eine Wunschvorstellung.

Der Gründer und Leiter des Lichtenfelser Siedlerbundes -Becker war der heimliche Bürgermeister der Siedlung. Er besorgte für die Siedler Gartenwerkzeuge, Düngemittel und ähnliches in größeren Mengen und stellte es so billiger, als es anderswo zu haben war, zur Verfügung. Zu ihm gingen die Siedler, wenn sie Probleme hatten.

Bei den Lichtenfelsern hatten die Bewohner am Klentsch allerdings oft einen schlechten Ruf. Wenn etwas angestellt worden war, hieß es gleich: "Ach, bestimmt wieder ein Siedler". Diese ungerechten Diffamierungen dürften wohl mit zum Zusammengehörigkeitsgefühl der Betroffenen beigetragen haben. Allen Problemen zum Trotz setzte sich die Siedlung bald als eigenständiger Teil von Lichtenfels durch. Vor allem in den Kriegsjahren wurden die Siedler um ihre Gärten und Tiere beneidet.



Anmerkungen

(73) Interview mit Siedlern
(74) StadtAL Siedlungsbewerber 1939