4.2. Die Auswahl der Siedlungsbewerber
Der umfangreiche Bewerbungsbogen für die Zuteilung einer Siedlungsstelle
(67a) gibt Auskunft über die Bedingungen, die ein Bewerber erfüllen mußte:
- Erfahrungen in der Gartenbewirtschaftung
Die Bewerber hatten genaue Angaben über ihre politische
Organisationszugehörigkeit zu machen, der Antrag war nicht nur vom Bürgermeister,
sondern genauso vom NSDAP-Ortsgruppenleiter zu unterzeichnen. Offensichtlich
sollten nach dem Willen des Reichsheimstättenamtes also Anhänger der NS-Bewegung
bevorzugt behandelt werden.
Nach welchen Gesichtspunkten wurden nun in Lichtenfels die Siedlerstellen
tatsächlich vergeben? Das Quellenmaterial hierzu ist leider lückenhaft;
aus den vorhandenen Aufzeichnungen sowie aus Aussagen von Siedlern läßt
sich aber dennoch ein recht stimmiges Bild zeichnen.
Bereits die Berufe der berücksichtigten Antragsteller lassen erkennen,
daß soziale Bedürftigkeit das wohl entscheidende Kriterium gewesen sein
dürfte: Ungelernte oder angelernte Arbeiter mit dementsprechend geringem
Einkommen überwiegen ganz eindeutig, bei anderen Berufen dürften besondere
Umstände zur Bewilligung geführt haben. Das gleiche Bild ergibt sich bei
der Betrachtung der Einkommenssituation der Siedler (Nominallöhne). Hierzu
lagen mir 32 Angaben aus den Jahren 1934 bis 1939 (67a) vor. Ein Vergleich
mit den jährlichen Nominallöhnen von Arbeitern im Reichsdurchschnitt (67b)
zeigt deutlich, wie stark die unterste Einkommensgruppe der Arbeiter in
der Siedlerschaft vertreten war:
Dies gilt vor allem für das Jahr 1934, in dem ausschließlich Bewerber
der Gruppe unter 1500 RM Jahreslohn berücksichtigt wurden. In den späteren
Bauabschnitten wurden dagegen auch besserverdienende Antragsteller zugelassen.
Über die soziale Not der Siedlungsbewerber kann der handschriftliche ausführliche
Antrag einer Familie anschaulich Auskunft geben:
Wir sind fünf Personen, davon schlafen vier
Personen: mein Mann, ich, unsere fünfzehnjährige Tochter und unser Achtjähriger
(..) in einem Raum. In einer Kammer schläft unser Lehrling. Wir haben
noch ein Wohnzimmer und eine Küche, in der sich fünf Parteien kaum rühren
können. Außerdem ist das ganze Haus verwanzt, und vor Russen (volkstümlicher
Ausdruck für Kakerlaken, J.R.) können wir uns kaum retten, die fressen
uns bald. Wir haben schon soviel Geld für das Ungeziefer ausgegeben,
aber es hilft nur immer eine Zeitlang. Vom hygienischen Standpunkt aus,
ist diese Wohnung fürchterlich, und wegen dem Ungeziefer alles andere,
nur nicht gesund. Eine andere Wohnung finden wir schlecht, da wir auf
keinem Fall mehr wie 20 M bezahlen können und für dieses Geld bekommt
man nur eine 2 Zimmerwohnung. Nun setzen wir unsere geringe Hoffnung
auf ein Siedlungshaus. (...) (Quelle: StadtAL 672/1 (1934)
Trotz solcher Wohnverhältnisse wurde dieser Antrag abgelehnt, vermutlich
wegen der beruflichen Tätigkeit des Ernährers (selbständiger Handwerker).
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