Beilagen
Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Ursprung
2. Weimar
3. NS-System
4 Lichtenfels
4.1 Planung
4.2 Siedler
4.3 Kosten
4.4 Siedlerstelle
4.5 Leben
4.6 heute
Schluss
Quellen
Materialien

4.2. Die Auswahl der Siedlungsbewerber

Der umfangreiche Bewerbungsbogen für die Zuteilung einer Siedlungsstelle (67a) gibt Auskunft über die Bedingungen, die ein Bewerber erfüllen mußte:

  • soziale Bedürftigkeit

  • Kinderreichtum

  • Erfahrungen in der Gartenbewirtschaftung
Die Bewerber hatten genaue Angaben über ihre politische Organisationszugehörigkeit zu machen, der Antrag war nicht nur vom Bürgermeister, sondern genauso vom NSDAP-Ortsgruppenleiter zu unterzeichnen. Offensichtlich sollten nach dem Willen des Reichsheimstättenamtes also Anhänger der NS-Bewegung bevorzugt behandelt werden.

Nach welchen Gesichtspunkten wurden nun in Lichtenfels die Siedlerstellen tatsächlich vergeben? Das Quellenmaterial hierzu ist leider lückenhaft; aus den vorhandenen Aufzeichnungen sowie aus Aussagen von Siedlern läßt sich aber dennoch ein recht stimmiges Bild zeichnen.

Bereits die Berufe der berücksichtigten Antragsteller lassen erkennen, daß soziale Bedürftigkeit das wohl entscheidende Kriterium gewesen sein dürfte: Ungelernte oder angelernte Arbeiter mit dementsprechend geringem Einkommen überwiegen ganz eindeutig, bei anderen Berufen dürften besondere Umstände zur Bewilligung geführt haben. Das gleiche Bild ergibt sich bei der Betrachtung der Einkommenssituation der Siedler (Nominallöhne). Hierzu lagen mir 32 Angaben aus den Jahren 1934 bis 1939 (67a) vor. Ein Vergleich mit den jährlichen Nominallöhnen von Arbeitern im Reichsdurchschnitt (67b) zeigt deutlich, wie stark die unterste Einkommensgruppe der Arbeiter in der Siedlerschaft vertreten war:

Dies gilt vor allem für das Jahr 1934, in dem ausschließlich Bewerber der Gruppe unter 1500 RM Jahreslohn berücksichtigt wurden. In den späteren Bauabschnitten wurden dagegen auch besserverdienende Antragsteller zugelassen. Über die soziale Not der Siedlungsbewerber kann der handschriftliche ausführliche Antrag einer Familie anschaulich Auskunft geben:

Wir sind fünf Personen, davon schlafen vier Personen: mein Mann, ich, unsere fünfzehnjährige Tochter und unser Achtjähriger (..) in einem Raum. In einer Kammer schläft unser Lehrling. Wir haben noch ein Wohnzimmer und eine Küche, in der sich fünf Parteien kaum rühren können. Außerdem ist das ganze Haus verwanzt, und vor Russen (volkstümlicher Ausdruck für Kakerlaken, J.R.) können wir uns kaum retten, die fressen uns bald. Wir haben schon soviel Geld für das Ungeziefer ausgegeben, aber es hilft nur immer eine Zeitlang. Vom hygienischen Standpunkt aus, ist diese Wohnung fürchterlich, und wegen dem Ungeziefer alles andere, nur nicht gesund. Eine andere Wohnung finden wir schlecht, da wir auf keinem Fall mehr wie 20 M bezahlen können und für dieses Geld bekommt man nur eine 2 Zimmerwohnung. Nun setzen wir unsere geringe Hoffnung auf ein Siedlungshaus. (...) (Quelle: StadtAL 672/1 (1934)

Trotz solcher Wohnverhältnisse wurde dieser Antrag abgelehnt, vermutlich wegen der beruflichen Tätigkeit des Ernährers (selbständiger Handwerker).



Anmerkungen

(67) vg1. Lichtenfelser Tagblatt vom 17.1.1959, Nr.13, S. 3
(67a) vgl. 672/65
(67b) Schmid S. 71